Hunger auf einem anderen Niveau
Morgen wird es für die Menschen in Tigray zu spät sein
Wir sprachen mit Schwester Medhin von unserer Partnerorganisation in Äthiopien über den Tribut, den der jahrelange tödliche Bürgerkrieg für die Menschen in Tigray gefordert hat, und über den quälenden Hunger, mit dem die Kinder und Gemeinden heute mehr denn je zu kämpfen haben.
"Wenn Sie den Menschen, die dem Verhungern und Sterben nahe sind, nicht jetzt helfen, wann dann? Morgen ist es zu spät." Diese eindringliche Frage stellte uns unsere liebe Freundin, Schwester Medhin. Zusammen mit anderen Mitgliedern unserer Partnerorganisation ‘Töchter der Nächstenliebe’, musste sie mit ansehen, wie ihr geliebtes Äthiopien von einem brutalen Bürgerkrieg zerrissen wurde.
Als Folge vom Kommunikations- und Medienunterbruch gab es in den letzten Jahren kaum Berichte aus Äthiopien. Und die Gräueltaten, die Schwester Medhin miterlebt hat, sind zu schrecklich, als dass wir sie hier teilen könnten. Am schockierendsten ist ihre Aussage: "Hunger und Not sind schlimmer als zuvor", trotz des Friedensabkommens vom letzten Jahr.
Niemand in Tigray blieb von den Schrecken des Krieges verschont, ungeachtet seines Einkommens, Besitzes oder Status vor dem Konflikt. Gemäss Schwester Medhin mussten alle um Essen betteln: "Versuchen Sie sich in ihre Lage zu versetzen. Stellen Sie sich vor, wie schmerzhaft und schwierig das für jeden von uns wäre. Es ist entwürdigend und entmenschlichend."
Das verzweifelte Ausmass des Hungers in Tigray wurde vielseitig verschärft. Die Menschen hungern, weil es bereits während des Krieges an Nahrungsmitteln mangelte. In der Hauptstadt Mekelle konnten Lebensmittel und Hilfsgüter kaum ein- oder ausgeführt werden. Der Konflikt führte zudem dazu, dass es unmöglich geworden war, anzupflanzen, zu düngen geschweige denn zu ernten. Auch die jahrelang geringeren Niederschläge stellten eine große Herausforderung für die Landwirtschaft dar.
"Offiziell ist der Krieg vorbei, aber die Menschen sterben immer noch an Hunger. Sie sind traumatisiert, wir erleben es jeden Tag. So viele Kinder, Mütter, Menschen mit chronischen Krankheiten ... die ganze Bevölkerung von Tigray leidet noch.
“Man sagt, dass ein leerer Magen keine Ohren hat, um zuzuhören. Es ist sehr schwierig, mit diesen Kindern nur schon zu reden. Wenn wir nichts essen, und sei es nur für einen Tag, sind wir gereizt und mögen mit niemandem reden ... es beeinflusst unsere Stimmung, unser Verhalten. Das Ausmass des Hungers, von dem ich spreche, ist nicht der übliche Hunger, den man kennt. Es geht darüber hinaus. Wir sprechen nicht von einzelnen Tagen des Hungerns, sondern von unzähligen Tagen ohne Essen, die die Kinder aushalten müssen.
Wenn man sich die Kinder nur schon ansieht – sie sind dünn, sehr dünn – viele sind unterernährt. Vor allem sie müssen gestärkt werden, denn sie sind am Verhungern. Sie brauchen medizinische Versorgung, Kleidung; ihre Grundbedürfnisse müssen befriedigt werden. Ich würde sagen, die Situation der Menschen hier ist allgemein unter dem Niveau der Menschlichkeit.
Wir sprechen hier von Kindern, die jahrelang nicht zur Schule gehen konnten; zuerst wegen Covid-19 und dann wegen des Krieges. Jeder Mensch sollte an sein eigenes Kind oder seine eigenen Kinder denken. Wir müssen grosszügig reagieren, um das Leben sinnvoll, hoffnungsvoll und lohnend zu machen. Oder zumindest ermöglichen, das man es leben möchte."
Angesichts solch verheerender Beschreibungen könnte man verzweifeln. Doch Schwester Medhin berichtet auch von der Hoffnung, an die sich die Menschen in diesen Zeiten großer Dunkelheit klammerten, und wie die Anwesenheit der Töchter der Nächstenliebe den Menschen grossen Trost spendete. Unterstützt von Mary's Meals konnten sie als erste Organisation in Tigrays Hauptstadt Mekelle Lebensmittel verteilen, wo 30’000 Binnenvertriebene in 27 Lagern täglich mit Essen versorgt wurden. Schwester Medhin betont, dass dadurch Tausende gerettet wurden, wie Mulu, ein vertriebenes Kind aus Tigray, das nach Ausbruch der Kämpfe aus seinem Dorf floh.
Von seiner Familie getrennt blieb Mulu nichts anderes übrig, als einer Gruppe von Dorfbewohnern auf der gefährlichen Reise nach Mekelle zu folgen - allein. Obwohl das Leben in dem provisorischen Lager ohne seine Familie unglaublich schwierig war, war Mulu froh, jeden Tag zusammen mit neuen Freunden etwas zu essen zu bekommen und bei Kräften zu bleiben, da er auf eine friedlichere Zukunft hoffte.
Schwester Medhin erzählte uns: "Jedes Mal, wenn ich an die dunklen Momente denke, vor allem in den letzten zwei Jahren, denke ich an Mary's Meals. Ich habe mich nie allein gefühlt. Ich hatte das Gefühl, dass wir durch diese dunklen Momente hindurchgehen würden und dass es einen Tag geben wird, an dem die Zukunft heller ist, an dem die Dinge vielleicht in Ordnung oder sogar normal sind.
Stellen Sie sich vor, dass wir in den letzten drei Jahren das Leben von mehr als 86’000 Menschen retten konnten, das ist so bemerkenswert, unbeschreiblich. Menschen, die aufgrund von Krankheiten und Nahrungsmangel gestorben wären. Ich denke, das ist das schönste Geschenk, das man einem Mitmenschen machen kann, vor allem einem Menschen, der unsere Liebe und Hilfe braucht."
“Ich möchte den Menschen für ihre Liebe danken - wenn die Liebe aufrichtig ist, überschreitet sie Grenzen, sie überwindet jedes Hindernis. Und das haben die Unterstützer von Mary's Meals getan. Ich glaube nicht, dass das, was uns in Tigray widerfahren ist, jemals einem Menschen irgendwo schon passiert ist. Es ist also nicht die übliche Art von Unterstützung, nach der wir suchen. Es ist wirklich eine Aufstockung des Fundraisings erforderlich. Es erfordert, dass wir die Extrameile gehen, uns vielleicht selbst entbehren, damit wir mehr geben können als das, was wir normalerweise geben.
Ich möchte die Öffentlichkeit auf der ganzen Welt bitten, für Mary's Meals zu spenden, denn das wird Leben retten, und Grösseres kann man nicht tun.“